Der Nikolaus kommt, Zimtöl auf Zuckergrund, 1967

 

nikolaus robpferd

Eine anheimelnde Szene: Der Nikolaus steht mit prall gefülltem Geschenkesack auf dem Weihnachtsmarkt, beschirmt vom Weihnachtsbaum. Kinder, teilweise in Begleitung Erziehungsberechtigter, warten auf die Gaben. Doch die künstlerische Aussage, die sich dem Betrachter nach erstaunlich kurzer Zeit aufdrängt, ist eine ganz andere und wie bei vielen Pferd-Werken unglaublich vielschichtig. Das beginnt bereits bei der Perspektive, die von einer höheren Warte auf das Geschehen blickt, die Protagonisten im absoluten Zentrum der Bildkonstruktion. Hier wurde nicht nachlässig der Goldene Schnitt missachtet, dahinter steckt feine Berechnung. Durch diesen genialen Regelbruch wird nämlich die bereits überdeutliche Kapitalismuskritik (der Nikolaus trägt das exakte Gewand des Coca-Cola-Weihnachtsmannes von 1956!) noch einmal in ihrer Aussage verstärkt und erreicht nur auf diese Weise eine an Brutalität grenzende Härte, nur so kann sie ihrem Kritikziel annähernd gerecht werden. Die Nebenfiguren umstehen den Protagonisten im weiten Rund und stehen für die Drittweltstaaten, die dem "Geschenkesack" des westlichen Wohlstandes so nah und doch noch so fern sind, dabei auch teilweise von ihren "Erziehungsberechtigten" (ein subtiler Verweis auf den russischen Einfluss in Afrika) zurückgehalten werden. Ein Mann mit schwarzem Schal steht weit abseits, beobachtend. Das kann als Allegorie auf die USA verstanden werden, die in Form eines grauen Agenten die Szene aus der Ferne überwachen, der schwarze Schal weist auf die Rassenunruhen der späten Sechziger in den Vereinigten Staaten hin.
 

Zum "Nikolaus" habe ich eine besondere Beziehung, das ist richtig. Auch deswegen, weil ich selbst nie etwas vom Nikolaus bekommen hatte. Das war voll gemein.
(Aus: Robert Pferd, Erinnerungen eines ewigen 8jährigen, Tonne-Verlag Elmshorn 1969)

Der Harzbulle, Leinöl auf Leinwand, 1988

 

harzquer robpferd

Bullig und kraftvoll präsentiert sich die Lokomotive dem Betrachter, scheinbar ein unzerstörbares Zeugnis von Industrialisierung und Ingenieurskunst. Aber Robert Pferd wäre nicht Robert Pferd, wenn er nicht auch hier die Bildaussage ironisch brechen würde. Da ist einmal die kleine Dampffahne, die nach unten weist. Sie steht einerseits für den Niedergang der industriellen Revolution und ihren Ersatz durch die digitale Revolution, andererseits für das Alter, die drohende Inkontinenz. Die scheinbare Mächtigkeit der Lokomotive wird außerdem effektvoll konterkariert durch den lila Lappen an der Luftpumpe (ein subtiler Verweis auf den auch in scheinbar maskulin besetzten Technikwelten größer werdenden Einfluss der Frauenbewegung) und den im Vergleich zur schieren Größe des Mechanismus filigran wirkenden Heizer, ohne den doch der Koloss nichts als eine Verdichtung von Stahl ohne Funktion wäre.
 

Die Idee für dieses Gemälde kam mir, als ich von einer ausgiebigen Kostprobe von Schierker Feuerstein auf dem Weg zurück ins Hotel war. Das letzte, woran ich mich erinnere, war der Anblick des gerade in Drei-Annen-Hohne ankommenden Zuges, der von vier nebeneinander fahrenden Lokomotiven in den Bahnhof gezogen wurde. Ich war so besessen von der Situation, daß ich die ersten Skizzen schon in der Ausnüchterungszelle in Wernigerode machte, noch bevor man mich dem Haftrichter vorführte.
(R. Pferd, in: Leben mit Likör-Exhibitionismus, Wege aus dem gesellschaftlichen Abseits, Falken Verlag 1988)

Der Triebwagen, Heizöl auf MB-Tex, 1963

 

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Einsam steht der Triebwagen an einem Wintertag vor dem verschneiten Bahnhof Sandberg. Nur ein alter Mann kämpft sich durch den frischen Schnee vom Bahnsteig herunter und scheint, dem Fahrzeug den Rücken kehrend, den Heimweg anzutreten. Alle anderen Protagonisten erscheinen nur unscharf und schemenhaft. Die künstlerische Zielsetzung ist klar: Das Alter bewegt sich fort vom Trieb, der einsam zurückbleibt in einer von geisterhaftem Selbst bevölkerten Welt. Das Fahrzeug steht ja schon mit seinem Namen für die Virilität der Jugend - also jene, die noch den "Trieb wagen" - die aber gleichsam auf den Gleisen des täglichen Lebens nach gesellschaftlichem Fahrplan gefangen scheint. Jedoch: Obwohl es hier um Fahrzeuge geht (sowohl im Focus des Betrachters als auch als Beiwerk im Hintergrund) bewegt sich doch nur das Alter, der Trieb scheint in der Winterkälte erstarrt zu sein, gebrochen und an einem Haltepunkt angekommen. Der pastose, fast bröckelige Farbauftrag unterstreicht diese Interpretation eindrucksvoll.

Ich kam an einem arschkalten Wintertag an den Bahnhof, ich war erst kurz vorher aufgestanden. Dort musste ich feststellen, daß der um 16.10 Uhr aus Erkorn angekommene Triebwagen erst um 18.00 Uhr wieder zurückfahren würde. Ich habe mir verdammt noch mal einen abgefroren bis dahin. Der alte Sack mit dem Stock lachte mich auch noch aus.
(Aus: Robert Pferd, Mein Leben als Kunstgenius, Hiepenkäuer und Flitsch 1968)

An der Strecke IV, Heißdampföl auf Putzwolle, 1974

 

tannentalbahn robpferd

Fast lautlos rollt der Zug vorbei, winterlich der Wald im Hintergrund, aber ohne Schnee. Die Lok dampft kaum. Hier wurde meisterhaft der tief verwurzelte menschliche Wunsch nach eingängigen Klischees (Winter = Schnee) im Kontext seiner immer drängender werdenden Unerfüllbarkeit in Szene gesetzt. Die karge Landschaft und die nur schwache "Lebenszeichen" aussendende Lokomotive stehen für die dabei erreichte Erschöpfung und das zwischenmenschlich ausgedörrte Leben des modernen Menschen. Selten ist es vorher und seither einem Künstler gelungen, diese Kernaspekte der Gesellschaft auf so subtile Art in künstlerische Form zu gießen.
 

Ich werde niemals den Moment vergessen, als ich an jenem Aschermittwoch am Bahndamm erwachte. Ich wurde geweckt vom Pfiff der Lokomotive, die dann geistergleich an mir vorbeizuschweben schien. Noch am selben Nachmittag begann ich das Bild.
(Robert Pferd, in: Ich, die Kunst, Beutel 1980)

Der Kutter, Fischöl auf Persenning, 1978

 

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Einsam kämpft sich das Schiff durch das graue Meer zurück in den sicheren Hafen. Rot strahlt der Rumpf, ein wärmeverheißendes Rot, aber auch das Rot des Blutes: Einerseits das Herzblut der Fischer, andererseits das Blut der gefangenen Kreaturen. Fein, fast schüchtern schäumt die Bugwelle, so als habe der Fang die letzten Kraftreserven aufgebraucht. Eine mächtige, ergreifende Allegorie auf den Staat und die Gesellschaft der ausgehenden 70er Jahre des letzten Jahrhunderts.
 

Ich wollte noch eine Tüte Krabben kaufen und wartete am Hafen von Neuhallerpollerwerksiel. Als der Kutter endlich in Sicht kam, hatte ich schon drei Bismarckbrötchen gegessen, von denen eins wohl nicht mehr ganz frisch gewesen ist. In dieser Nacht erschien mir der Kutter immer wieder in meinen fiebrigen Träumen.
(Robert Pferd, in: Gesicherte Erkenntnisse eines Übermenschen, Wohrolt Art Edition 1979)

 
BKB echo


em 01 2019


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